Produktionsrückverlagerung der Lemken GmbH & Co. KG

Das sich in sechster Generation in Familienbesitz befindende Unternehmen Lemken hat seinen Sitz im niederrheinischen Alpen. Das Unternehmen ist Hersteller von landwirtschaftlichen Geräten für die Bodenbearbeitung und die Aussaat. Die Produkte sind großen saisonalen Auftragsschwankungen unterworfen, wobei kurze Lieferzeiten sehr wichtig sind. Für die Fertigung der Produkte sind spezielle Materialgüten erforderlich. Vom Kunden werden immer größere und individuellere Maschinen und eine hohe Variantenvielfalt nachgefragt. Für die Fertigung sind daher flexible Strukturen nötig.

Die Firma Lemken beschäftigt ca. 600 Mitarbeiter, wobei der Anteil an Facharbeitern bei 70 % liegt. Lemken ist Marktführer in Deutschland im Bereich Aussaat und Bodenbearbeitung. Im Jahr 2004 wurde ein Umsatz von 79 Mio. € erzielt, wobei die Exportquote bei 50 % lag. Als Erfolgsfaktoren werden vom Unternehmen Lemken seine Spezialisierung, die Herstellung innovativer Produkte, kundenorientierte Lösungen im Dialog, kompetente Verkaufsunterstützung, umfassender Service von Monteur bis Internet, kurze Entscheidungswege, offene Kommunikation nach innen und außen und eine flexible Produktion angesehen (vgl. VERVOORST 2004: 2ff.). Alpen ist heute der einzige Produktionsstandort des Unternehmens. Anfang der Neunziger Jahre hatte sich das Umfeld des Unternehmens geändert. Das Unternehmen war einem stärkeren Kostendruck unterworfen, der u.a. aufgrund der Subventionskürzungen in der Landwirtschaft, einem starken Verdrängungswettbewerb auf dem westeuropäischen Markt und neuen Wettbewerbern aus den osteuropäischen Ländern zunahm.

Exportmärkte, vor allem der osteuropäische, waren Zuwachsmärkte. Aufgrund dieser Veränderungen betrachtete man die Internationalisierung des Unternehmens als notwendige Maßnahme. Hierfür standen drei Alternativen zur Auswahl. Zum Einen war dies der Einkauf von Komponenten aus Billiglohnländern, des Weiteren die Gründung von Joint-Ventures oder schließlich der Errichtung einer Fertigung in Osteuropa. Als Verlagerungsland wurde vorab Russland ausgewählt, weil hier der sich am größten wachsende Markt befand. Ein damaliger Angehöriger der russischen Regierung war zu dieser Zeit zu Besuch bei dem Unternehmen. Er stellte die Vorzüge der russischen Enklave Kaliningrad dar. Kaliningrad sollte Sonderwirtschaftszone werden und somit wären große Steuervorteile für das Unternehmen entstanden. Nachdem man den Standort Kaliningrad vor Ort besichtigt hat, entschied man sich für Kaliningrad als einen neuen Produktionsstandort. Wichtige Standortfaktoren, die für den Standort Kaliningrad sprachen, waren die Transportwege. Kaliningrad hat einen eigenen Hafen und somit konnten die Waren direkt über Schiff versandt werden. Des Weiteren war damals Stahl von der Güte, die man zur Produktion benötigte, in Kaliningrad zu einem niedrigen Preis zu beziehen. Eine Tonne Stahl kostete in Kaliningrad ungefähr 300 DM, während der Stahlpreis in Deutschland ungefähr bei 1.000 DM lag.

Aufgrund der Rüstungsproduktion war Stahl dieser Güte in Russland vorhanden. Zusätzlich sprachen niedrige Lohnkosten für den Standort Kaliningrad. Die Lohnkosten lagen damals inklusive Nebenkosten bei 300 DM pro Monat und Mitarbeiter (vgl. VERVOORST 2004: 15). In Kaliningrad gab es eine relativ hohe Anzahl von gut ausgebildeten Facharbeitern. Zusätzlich ging man davon aus, dass in Kaliningrad aufgrund seiner deutschen Vergangenheit die kulturellen Unterschiede zu Deutschland nicht zu groß wären. Am Ende des Jahres 1993 wurde die Niederlassung in Kaliningrad gegründet. Neben einem deutschsprachigen Werkleiter wurden russische Facharbeiter und eine Buchhalterin eingestellt. Der Geschäftsbetrieb wurde im Frühjahr 1994 aufgenommen. Dazu wurde eine Produktionshalle mit vorhandenem Maschinenpark gemietet. Die Jahresmiete war sehr kostengünstig und stellte mit ungefähr 42 DM pro m² einen weiteren Kostenvorteil zum deutschen Standort dar. Am Standort Kaliningrad wurden Drehteile für die Montage am deutschen Standort gefertigt. In einer zweiten Stu-fe plante man die Verlagerung von Warmpress-, Umform-und Härtearbeiten nach Kaliningrad. Schließlich sollten in einem letzten Schritt Schweißbaugruppen vor Ort zugekauft werden. Erste Probleme am ausländischen Standort traten schon ziemlich früh auf. So kam bereits zu Anfang bei der Lieferung von Ersatzteilen für die Maschinen zu ungewöhnlich langen Wartezeiten an der Grenze. Ein weiteres Problem war das Qualitätsbewusstsein der russischen Facharbeiter. Es wurden u.a. Materialgüten verwechselt, Maße nicht eingehalten, Waren wurden falsch konserviert und waren daher teilweise verrostet. Um diesen Qualitätsproblemen gegenzusteuern, wurde ein teures Spektralanalysegerät angeschafft.

Des Weiteren mussten sehr oft deutsche Mitarbeiter an den Standort Kaliningrad entsandt werden. Zusätzlich wurden Schulungen der russischen Mitarbeiter durchgeführt. Der Managementaufwand war immens hoch. Die Produktivität in Kaliningrad war vergleichsweise schlecht. Weitere Probleme stellten alltägliche Dinge wie Kommunikationsprobleme aber auch die Unterschiede in der russischen und deutschen Mentalität dar. Aber auch die politischen Rahmenbedingungen stellten sich als schwierig dar. Einmal wurde vom Geschäftskonto ca. 20.000 DM von der russischen Regierung gepfändet. Als Konflikte zwischen Litauen und Russland entstanden, wurden die Grenzen von Litauen geschlossen. Das zwischen Kaliningrad und Russland liegende Litauen konnte so nicht mehr durchfahren werden und damit kam es zu erheblichen Transportproblemen. Auch an der Grenze von Russland nach Polen kam es zu Wartezeiten bis zu vier Ta-gen. Vorschriften und Formulare änderten sich ständig . Für ein Unternehmen, für das kurze Lieferzeiten der Produkte ein wichtiger Erfolgsfaktor darstellt, war dies ein sehr großes Problem. Um diesen Lieferschwierigkeiten gegenzusteuern, wurden zusätzlich deutsche Zulieferer gesucht. Schließlich kam es nach ca. ein bis zwei Jahren zu starken Produktionsfaktorkostensteigerungen. So stiegen neben den Energiekosten auch die Materialkosten stark an. Der Stahlpreis erreichte das deutsche Preisniveau.

Diese Preissteigerung lag daran, dass zu Anfang des Auslandsengagements die Stahllager der Stahlwerke noch gut gefüllt waren, diese sich aber mit dem Lauf der Zeit leerten und deshalb nachproduziert werden musste. Die russische Stahlindustrie war zu dieser Zeit nicht wettbewerbsfähig. Oftmals waren eine Vielzahl an Mitarbeitern in Kombinaten beschäftigt, die eigentlich fast keinen Umsatz mehr erzielten. Konnten Umsätze erzielt werden, wurden ein großer Anteil der Fixkosten auf diese Umsätze abgewälzt. Neben den Kostensteigerungen kam es auch vor, dass aufgrund unterbrochener Stromzufuhr gar nicht erst produziert werden konnte. Diesel, den man z.B. für den Gabelstapler benötigte, war oft gar nicht zu beziehen. Aufgrund von immer häufig auftretender Probleme und dem komplett unterschätzten Managementaufwand entschied man sich Ende 1996 das Werk in Kaliningrad zu schließen. Es waren zusätzlich Mehrkosten von ungefähr 500.000 DM entstanden. Der befragte Mitarbeiter erteilte auch nach Rückfrage die Auskunft, dass alles was in Kaliningrad produziert wurde, nicht mehr am Produktionsstandort Alpen eingegliedert wurde, sondern dass alle Arbeiten an deutsche Zulieferer ausgelagert wurde. Demnach würde es sich bei dem Rückverlagerungsfall von Lemken um eine indirekte Rückverlagerung handeln. Jedoch finden sich an anderer Stelle gegenteilige Aussagen, wonach berichtet wird, dass die Produktion in Kaliningrad am Produktionsstandort Alpen zumindest kurzfristig wieder eingegliedert wurde.

 

Vervoorst, Rudolf (2004): Lemken. The Aggrovison Company. Going Abroad. Vortrag an der Universität Düsseldorf.